ZIEHT UNS DIE KRISE DIE WURST VOM BROT?
Was in Inflationszeiten von Nachhaltigkeit und Tierwohl übrig bleibt – The Family Butchers im Gespräch mit Marktpsychologe Thomas Ebenfeld.
Krise, Krieg und Kostendruck – die Inflation verteuert auch Lebensmittel erheblich. Ein Ausgabenposten, bei dem Verbrauchende schnell ans Sparen denken, da sie es selbst in der Hand haben. Betrifft diese Kaufzurückhaltung in Deutschland mittelfristig auch den Wurst- und Schinkenmarkt? Und was bedeutet das für nachhaltige Markenkonzepte in diesem Segment, die in der Regel etwas hochpreisiger sind? Werden sie zum Verlierer der Krise? Markenpsychologe Thomas Ebenfeld hat dazu eine klare Meinung.
Unser Experte Thomas Ebenfeld
Als studierter Psychologe und analytischer Intensivberater ist Thomas Ebenfeld ein absoluter Experte, wenn es um das Konsumverhalten der Deutschen geht. Er ist außerdem Gründer und Managing Partner von concept m research + consulting und hat stets die aktuellen Entwicklungen der Consumer-Märkte im Blick.
TFB im Interview mit Thomas Ebenfeld
TFB: Die aktuelle Inflationsrate liegt bei 7,9 Prozent. Wie wird sich dieser Trend Ihrer Meinung nach über das Jahr entwickeln und welche Auswirkungen hat das auf die Lebensmittelpreise?
Hr. Ebenfeld: Die Preisentwicklung hängt stark davon ab, wie sich die Lage in der Ukraine und die Rohstoffverfügbarkeiten entwickeln. Dabei spielen derzeit viele unvorhersehbare Faktoren mit. Alle Zeichen deuten jedoch darauf hin, dass eine echte Entspannung erst im nächsten Jahr eintreten kann. Die Auswirkungen sehen wir aktuell bereits deutlich bei den gestiegenen Lebensmittelpreisen. Durch die erhöhten Energiepreise, die erst noch richtig durchschlagen werden, müssen wir im zweiten Halbjahr 2022 sogar noch mit weiteren Preisanstiegen rechnen.
TFB: Wie unterschiedlich reagieren Verbraucher auf die Inflation?
Hr. Ebenfeld: Bei unseren Befragungen konnten wir vier verschiedene Betroffenheitsformen ausmachen, mit zwei gegensätzlichen Polen. Auf der einen Seite findet sich der Teil der Bevölkerung, der die Inflation bereits jetzt deutlich spürt und in echte finanzielle Not gerät, beispielsweise Alleinerziehende und Geringverdiener. Auf der anderen Seite Inflationsresiliente. Diese haben ein gutes bis sehr gutes Einkommen und daher kaum existenziellen Druck, aufgrund der gestiegenen Preise etwas an ihrem Einkaufsverhalten zu ändern. Einige darunter empfinden die Lebensmittelpreise in Deutschland – z.B. im Vergleich zu Frankreich – schon länger als zu niedrig und sehen die Preiserhöhungen gewissermaßen als Korrektur, vor allem beim Fleisch. Zwei weitere Umgangsformen sind die „Inflationshysterie“ und das „Inflationsmanagement“. Bei der ersten Form sind die Verbraucher*innen bisher zwar noch nicht real von Sparzwängen betroffen, ihre Wahrnehmung sieht jedoch anders aus: Verknappungen und Verteuerungen werden als Vorboten des Untergangs erlebt, im Sinne der „Abstiegsgesellschaft“ nach Oliver Nachtwey.
Das Inflationsunbehagen wird noch zunehmen
Hr. Ebenfeld: Hier erlebt man sich in einer Opferrolle und die Klagen dienen als Ablassventil für Frustrationen, die sich schon seit Beginn der Pandemie eingestellt haben. Die vierte Umgangsform, das „Inflationsmanagement“, agiert sehr pragmatisch, nimmt sein Schicksal selbst in die Hand und schafft für sich „Sparrituale“ und Limitierungen, z.B. statt drei nur noch zwei Mahlzeiten pro Woche mit Fleisch- und Wurstprodukten, oder einmal öfter beim Discounter als im LEH einkaufen. Auf diese Weise hält sich der eigene Verzicht in Grenzen, aber es entsteht das Gefühl, aktiv etwas getan und die Situation zumindest gefühlt unter Kontrolle zu haben. Wobei man sagen muss, dass wir derzeit noch in einem „Sommer-Moratorium“ sind. Das Inflationsunbehagen wird nach den Ferien in der Breite noch deutlich zunehmen.
TFB: Lassen sich hierbei Unterschiede zwischen den Generationen erkennen?
Hr. Ebenfeld: Auf jeden Fall. Für die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegsgeneration sind die aktuellen Entwicklungen natürlich besonders emotional. Da werden Erinnerungen an die Not und den niedrigen Lebensstandard wach. Zugleich weiß man, dass man dies schon einmal durchgestanden hat. Die Boomer-Generation trifft die Inflation dagegen eher unerwartet. Sie hatten sich schon auf ewige Besitzstandswahrung eingestellt und für ein behagliches Alter eingerichtet. Die Inflation erleben sie als destabilisierend und Gefahr der geordneten und heilen Welt.
Die Jungen bleiben optimistischer
Hr. Ebenfeld: Ein großer Teil der jungen Generationen sehen sich durch die Krise hingegen in vielen Punkten darin bestätigt, mehr denn je auf Nachhaltigkeit zu setzen. Statt „Geiz ist geil“ gilt hier für viele heute tendenziell „Verzicht ist geil“ als Maßgabe beim Konsum realer Güter – auf der anderen Seite nutzen sie verstärkt einen Eskapismus ins Virtuelle als Ersatzraum und leben sich eher weiter in Social Media aus.
TFB: Wie wirken sich die Preisanstiege auf uns als Gesellschaft aus?
Hr. Ebenfeld: Wenn essenzielle Güter wie Lebensmittel, die in unser aller Bedürfnishierarchie ganz oben stehen, massiv teurer werden, zeigt das die Unterschiede zwischen arm und reich besonders deutlich. Das führt zu einem Auseinanderdriften der Gesellschaft und birgt ein hohes Radikalisierungspotential, wie wir es bereits aus anderen Ländern wie Frankreich oder den USA kennen.
TFB: Bei welchen Lebensmitteln wird die Inflation am drastischsten wahrgenommen und wo werden Verteuerungen eher akzeptiert?
Hr. Ebenfeld: Besonders dramatisch nehmen Konsumenten die Anstiege bei Grundnahrungsmitteln wie Butter, Öl, Milch oder Brot wahr. Bei Genussprodukten wie Snacks oder Süßigkeiten ist die Toleranz vergleichsweise höher.
TFB: Wie entwickelt sich das Konsumverhalten speziell im Fleisch- und Wurstsegment?
Hr. Ebenfeld: Verbraucher*innen wollen sich die Wurst auch in Zeiten der Krise im wahrsten Sinne nicht vom Brot nehmen lassen. Genuss und sich „etwas Leckeres gönnen“ stehen seit Beginn der Pandemie hoch im Kurs – daran hat auch die Inflation nichts geändert. In Hinblick auf den Fleisch- und Wurstkonsum befeuert die Inflation aber auch weiter den Flexitarier-Trend: Konsument*innen wollen nicht komplett verzichten, schränken sich jedoch in der Häufigkeit ihres Fleischverzehrs ein. Dabei gilt das vorherrschende Argument, das wir bereits vom Nachhaltigkeitstrend kennen: „weniger, aber dafür besser“.
Weniger und besser kann eine Markenchance sein
Hr. Ebenfeld: Zwar erleben wir bei der Nachfrage nach Bio- und Tierwohl-Produkten aktuell einen Rückgang. Auf lange Sicht ist das jedoch nur als kleine Delle in einer Trendkurve zu verstehen, die ansonsten weiter nach oben gehen wird. Das Nachhaltigkeitsdenken ist im Mainstream angekommen und wird sich dort auch mittelfristig halten. Sowohl Hersteller als auch der Handel sind daher gut beraten, sich vom aktuellen Konsumverhalten nicht verunsichern zu lassen und weiterhin in Tierwohl- und Mehrwert-Konzepte zu investieren. Denn: Wer jetzt die richtigen Weichen stellt und eine tragfähige Basis schafft, wird nach der Krise mit hoher Wahrscheinlichkeit belohnt.
TFB: Verlieren Marken in Zeiten der Inflation zugunsten von Handelsmarken?
Hr. Ebenfeld: Hier beobachten wir momentan zwei Richtungen: Starke Marken mit Leuchtturmcharakter werden wichtiger, denn sie geben gerade in unsicheren Zeiten Halt und strahlen Beständigkeit aus, nach denen sich viele gerade jetzt sehnen. Werte wie Vertrauen rücken in den Fokus und werden vor allem mit Marken assoziiert, zu denen man eine hohe emotionale Verbundenheit spürt. Weniger profilierte Marken, bei denen diese emotionale Bindung nicht vorhanden ist, werden stattdessen unwichtiger und öfter gegen das günstigere Handelsprodukt ausgetauscht. Hier wirken zwei Logiken bei den Verbraucher*innen: Die einen sparen lieber an der ein oder anderen Stelle, um sich weiterhin ihre emotionalen Leuchtturm-Produkte zu leisten. Oder bildlich gesprochen: Ich greife lieber zur günstigeren Handelsmarkenbutter, leiste mir dafür aber gern weiterhin die Reinert Bärchen-Wurst, die sonntags traditionell beim Familienfrühstück auf dem Tisch steht.
Marken mit Haltung geben Halt
Hr. Ebenfeld: Die anderen erleben die heutigen Handelsmarken inzwischen oft schon als akzeptablen Ersatz, der einem die Möglichkeit gibt, seinen Standard ohne Verzicht zu halten. Bezüglich der starken Marken sehen wir, dass bei vielen – gerade in den jungen Generationen – die Identifikation mit Werten und „Purpose“ einer Marke an Bedeutung gewinnt. Hier lohnt es sich, als Hersteller langfristig in das Profil ihrer Marken zu investieren. Es gilt, klare Haltung zu zeigen, einen Purpose zu schaffen und diesen auch nach außen zu kommunizieren. Wenn diese Versprechen gehalten werden, entsteht eine starke Markenbindung, die auch in Krisenzeiten Bestand hat.
TFB: Welche Veränderungen im Konsumverhalten werden bleiben und welche werden sich nach der Krise wieder angleichen?
Hr. Ebenfeld: Krisen eröffnen auch immer Chancen und sind Zeitpunkte, wo Neues entstehen kann. Vieles wird hinterfragt, auch in Hinblick auf das eigene Konsumverhalten: Brauche ich dieses oder jenes Produkt wirklich für mein persönliches Wohlbefinden, gibt es Alternativen oder komme ich eventuell auch mit deutlich weniger aus? Corona war hier bereits der Katalysator für einen Wertewandel und das Bestreben nach mehr Qualität und Nachhaltigkeit.
Der Wertewandel geht weiter
Hr. Ebenfeld: Auch wenn die Inflation kurzfristig eine höhere Preissensibilität mit sich bringt, ändert das mittelfristig nichts am Gesamttrend der Rückbesinnung auf Werte. Die Relevanz von Marken in Verbindung mit einem klaren Purpose wird sich durchsetzen. Achtlosigkeit im Konsumverhalten, rücksichtslose Tierhaltung oder Food Waste findet gesellschaftlich zunehmend keine Akzeptanz mehr, dafür ist der Transformationsdruck, vor allem durch die jungen Generationen, inzwischen einfach zu groß.
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