OHNE FACHKRÄFTE BLEIBT DER TELLER LEER
Keine zeitgemäße Unternehmenskultur? Keine Fachkräfte! HR-Profi und Psychologe Prof. Dr. Gunther Olesch erklärt im Gespräch mit The Family Butchers, worauf Arbeitgebende in Zukunft setzen sollten, um qualifizierte und motivierte Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten.
Seit Jahren wurde er beklagt, jetzt wird er wirklich zu einem drängenden Problem: der Fachkräftemangel. Vor allem im produzierenden Gewerbe finden Unternehmen immer schwerer passende Arbeitnehmer*innen. Und fast noch schwerer scheint es zu sein, sie längerfristig zu binden. Was muss sich ändern, damit man als Arbeitgebender attraktiv ist? Wie findet man die richtigen Mitarbeitenden? Und welche Strategien kann man von klassischen Bürojobs auch auf Produktionen anwenden? Prof. Dr. Gunther Olesch hat einige interessante Denkanstöße zum Thema und wir haben mit ihm dazu gesprochen.
Unser Experte Prof. Dr. Gunther Olesch
Ein Mann der Theorie und Praxis. Der studierte Psychologe steht mit seinem Unternehmen Phoenix Contact für modernstes Personal- und Bildungsmanagement und für eine Unternehmenskultur, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Für seine engagierte Arbeit wurde er bereits mehrfach als Manager des Jahres ausgezeichnet.
TFB Interview mit Prof. Dr. Gunther Olesch
TFB: Was wären Ihre strategischen Top 3-Themen, wenn Sie heute noch Personalchef eines produzierenden Unternehmens wären?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Hier sehe ich die Arbeitskräftesicherung und -gewinnung, denn der heutige Fachkräftemangel ist noch harmlos. 2000 bis 2020 gab es 5,4 % weniger Fachkräfte, zwischen 2030 und 2035 wird sich diese Zahl auf 12,4 % verdoppeln, da die Babyboomer in Rente gehen. Der oft zitierte „War for Talents“ beginnt also erst noch. Ein weiteres Thema ist der voranschreitende Wertewandel, denn die neuen Generationen und Digital Natives begegnen uns mit einem ganz anderen Wertesystem, darauf müssen wir uns einstellen. Hinzu kommt die Digitalisierung, diese müssen wir vorantreiben. Denn menschliche Arbeitskräfte in der Produktion, aber auch in der Entwicklung, werden nicht ausreichend ersetzt werden können. Hier müssen digitale und KI-gestützte Lösungen Abhilfe schaffen.
TFB: Für welches Thema würden Sie den größten Teil Ihres Budgets heute einsetzen?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Ganz klar für die Digitalisierung, sowie die Fachkräftegewinnung und -sicherung. Es ist zunehmend wichtig, auf die Stimmung im Unternehmen zu achten, denn durch die digitale Transparenz, die Bewertungsportale schaffen, sind Unternehmen deutlich gefordert, sich gut aufzustellen, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Um es ganz klar zu sagen: Ab 2030 werden Unternehmen aussterben, die keine exzellente Unternehmenskultur entwickelt haben.
TFB: Welche wichtigen Themen werden Ihrer Meinung nach von vielen Personalchefs außer Acht gelassen?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Was mir auffällt, ist, dass viele Personalchefs sich eher mit den operativen Themen beschäftigen und wenig visionäres Management betreiben. Es ist aber wichtig, heute daran zu denken, wo das Unternehmen in 10 Jahren steht, und dafür die Weichen zu stellen. Und HR-Verantwortliche sollten meiner Ansicht nach Teil der Geschäftsführung sein, denn dort können sie Dinge besonders stark bewegen.
TFB: Welche Mitarbeitenden werden wir in Zukunft für „einfache Arbeiten“ gewinnen können?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Zum einen sind es Zuwanderer aus dem Osten wie Rumänien oder Ungarn, denn diese sind oftmals gut ausgebildet, aber haben in ihrer Heimat wenig attraktive Jobangebote. Hinzu kommt, dass viele Deutsch in der Schule hatten. Und wir sollten uns stärker mit den Arbeitslosen beschäftigen, denn wir haben derzeit 2,4 Mio. arbeitslose Menschen in Deutschland und wir suchen 2,1. Mio. Arbeitskräfte. Der Staat muss hier ganz klar mehr Bemühungen zeigen, die Menschen an Arbeit heranzuführen – hier muss investiert werden. Das würde helfen.
TFB: Woher werden unsere Fachkräfte kommen? Ist es für Sie absehbar, was in Zukunft in Produktionen automatisiert oder durch KI ersetzt wird?
Prof. Dr. Gunther Olesch: In der Produktion ist viel durch Digitalisierung möglich, im Speziellen durch moderne Maschinen und KI. Aufgrund der Demografie wäre es auch so, dass wir die Digitalisierung jetzt erfinden müssten, wenn es sie nicht gäbe, um die fehlenden Arbeitskräfte zu kompensieren. Zudem müssen wir Zuwanderer gewinnen und hier muss die Politik mithelfen, in dem vor allem geregelt wird, dass Arbeitskräfte ihre Familie mitbringen können.
TFB: Sind ganz andere Beschäftigungsmodelle denkbar? Zum Beispiel Employee-Sharing, Projekt-Aufgaben-Vergabe via Plattform, hybrides Arbeiten im Werk und in der Verwaltung?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Hybrides Arbeiten wird und ist ganz klar die Zukunft. Job-Sharing- und -Hopping halte ich für nicht gut. Mitarbeitende müssen sich als Teil des Teams fühlen, um einen wirklich guten Job zu machen. Geteilte Stellen bringen wenig Loyalität mit sich. Die Gesunderhaltung älterer Mitarbeiter ist auf jeden Fall wichtig, denn dies sind wertvolle Arbeitskräfte mit viel Know-how und Erfahrung. Auch jenseits der Pensionierung: Warum sollen Ältere nicht arbeiten dürfen, wenn Sie wollen und sich fit genug fühlen? Ich halte hier das schwedische Modell für sinnvoll.
TFB: Werden wir in Zukunft „Jobnomaden“ aus unterschiedlichsten Ländern haben? Wenn ja, welche Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Die Politik muss das Einwanderungsgesetz anpassen und dieses familienfreundlich gestalten. Vor allem Osteuropäer sind sehr offen, zu uns zu kommen, wollen aber natürlich ihre Familien mitbringen. Hier muss es eindeutige Regelungen geben.
TFB: Was sind die Schlüssel zum Erfolg, um gewerbliche Mitarbeitende zu binden und zu entwickeln? Wie kann ich einen Mitarbeitenden entwickeln, der 8 Stunden am Band steht und seinen Job anreichern?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Vor allem muss mehr auf die Bedürfnisse der gewerblichen Mitarbeitenden eingegangen werden. Bisher gab es nur Verbesserungen für Angestellte in Form von „New Work“. Auch der gewerbliche Bereich kann und muss Arbeitnehmer-freundlicher gestaltet werden. Ich denke da an Rückzugsmöglichkeiten für Schichtarbeiter*innen, mehr Flexibilität in den Schichten, indem sich die Gruppen untereinander absprechen. Hier muss „New Work“ ähnlich wie für Angestellte stattfinden. Denn wir dürfen eines nicht vergessen: die Industrie und der Schichtbetrieb erarbeiten unseren Wohlstand.
TFB: Fachkräfteentwicklung mal anders, was wäre da Ihr Weg?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Wir müssen mehr in Deutschland ausbilden und wir müssen früher beginnen. Das bedeutet, schon in der Schule oder im Kindergarten Kontakt aufzunehmen, um vor allem Mädchen für technische Berufe zu begeistern. Dafür brauchen wir auch mehr männliche Kindergärtner, die mehr Technik-Bezug mitbringen. Und um hier den Bogen zu ziehen: Wenn wir mehr Frauen in Vorständen wollen, muss das in Schule und im Kindergarten anfangen, um sie für technische Berufe zu begeistern.
TFB: Mobiles Arbeiten nur eine Mode oder die Zukunft?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Das wird und ist die Zukunft. Mitarbeitende werden zwei bis drei Tage im Büro und zwei bis drei Tage im Homeoffice sein. Ich denke, die Abwechslung ist gesund und man darf nicht unterschätzen, wie wichtig das Zusammentreffen im Büro ist, um informelle Infos auszutauschen. Und hinzu kommt, dass wir Herdentiere sind und Gesellschaft brauchen.
TFB: Arbeitszeitgesetz: Ist das noch zeitgemäß? Sind Gewerkschaften und Tarifverträge noch zeitgemäß? Wenn nein, wie sieht der Weg daraus aus?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Das müssen wir dringend anpassen. Kreative Ideen entstehen eben nicht nur von montags bis freitags, sondern auch mal am Wochenende, es muss möglich werden, Arbeitszeiten dahingehend flexibler zu gestalten und auf den individuellen Rhythmus jedes Einzelnen eingehen zu können. Und auch die Gewerkschaften sollten sich öffnen, denn die Tarifverträge müssen ebenso modifiziert werden.
TFB: Wie beurteilen Sie den Status quo der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik in puncto Mitarbeiterrekrutierung und -entwicklung? Wie kann diese verbessert werden?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Die Politik muss das Zuwanderungsgesetz und das Arbeitszeitgesetz anpassen. Und das Bildungssystem gehört dringend weiter ausgebaut, denn man kann es nicht oft genug sagen: Bildung ist unser Gold und Möglichkeiten wie duale Ausbildungen oder die generelle Investition an Hochschulen sind elementar wichtig.
Die Unternehmen hingegen sind gefordert, ihr Employer Branding auszubauen und dafür zu sorgen, dass die Leute gerne arbeiten und sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren können.
Und ich habe noch einen Appell an Unternehmen: Wenn über neue Gesetze gesprochen wird, müssen sie daran teilnehmen und dabei sein. Oft werden Vertreter*innen eingeladen und viele kommen nicht. Und dann ist der Ärger groß, wenn Gesetze nicht in ihrem Sinne sind. Hier möchte ich zur aktiven Mitgestaltung aufrufen!
TFB: Welche Rolle / Verantwortung kommt dem Handel zu?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Der stationäre Handel steht im großen Wettbewerb zum E-Commerce. Hier muss die persönliche und freundliche Beratung im Fokus stehen. Das nützt auch den Mitarbeitenden, denn die Wertschätzung verändert sich damit auch, wenn hier qualifiziert und gefördert wird.
TFB: Mittelständische Unternehmen, bei denen Produktion und Verwaltung eng verzahnt und zum Teil auf dem gleichen Betriebsgelände sind: Wie kann man vorgehen, um ein Verständnis zwischen den Parteien zu schaffen, wenn die Rahmenbedingungen, wie Arbeitszeit, Schichtarbeit etc. sehr unterschiedlich sind?
Prof. Dr. Gunther Olesch: Es wurde genug Energie für die Angestellten aufgewendet. Jetzt muss endlich deutlich mehr Fokus auf die Menschen in der Produktion und Logistik gelegt werden. Das bedeutet auch hier, Gleitzeit, Flexibilisierung, angenehme Raumgestaltungen zu bieten und vor allem mehr Wertschätzung zu geben. Warum nicht mal einen Kicker in den Aufenthaltsraum der Produktion stellen? Denn wir dürfen nicht vergessen: diese Gruppe der Arbeitnehmer ist enorm wichtig, denn sie sind die Basis der Industrie - ohne die läuft nichts.
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